Vom Rummelplatz zum Filmpalast Als der Stummfilm sich aus den Jahrmärkten und kleinen Ladenlokalen
herausgearbeitet hatte, begann man ihm Paläste zu bauen. Das war auch die Geburtsstunde
des Titania-Palastes, des ersten großen Luxuskinos, das außerhalb der City errichtet
wurde und auf dessen Standplatz sich zuvor tatsächlich ein Rummelplatz befunden hatte.
Ich bin sozusagen in seinem Schatten aufgewachsen, ein so
großes Gebäude war selbst von einem kleinen Kind nicht zu übersehen. Schon bevor ich
die Feinheiten der eigenwilligen und neuartigen Fassade schätzen lernte, mochte ich sie,
weil ich die stuckverzierten Häuser in Rhein- und Schloßstraße so
"altmodisch" fand. Und erst der Turm mit seinen Lichtbändern, die manchmal
abends die Gegend erleuchteten! Aber richtig spannend wurde es erst, als ich ihn auch von
innen kennenlernte: er wurde meine Märchenhöhle mit den blau-rot-golden bemalten
Samtwänden mit den kreisrunden Mustern, den geschwungenen Balkons, den gebogenen
Türrahmen und Geländern, der leuchtenden Kuppel an der Decke. Und erst die Orgel, die
sich in großen Bögen über der Bühne wölbte und uns vor den Vorstellungen musikalisch
unterhielt, wobei sie in wechselnden Farben erstrahlte!
(Der geniale Einfall meiner Mit-Autorin Marina Naujoks mit der Elfenkönigin Titania im
nebenstehenden Artikel zielt also genau in die richtige Richtung!) Das gefiel dem Kind,
und auch die Presse war des Lobes voll, wenn auch die Vossische Zeitung von einer
"seltsamen, sogar peinlichen Mischung von Feierlichkeit und Bluff" schrieb. Die
Meinungen waren also geteilt.
Die Eröffnung des Titania-Palastes als "Luxus-Volkskino" im Januar 1928 war ein
großes gesellschaftliches Ereignis, bei dem der Hoffnung Ausdruck verliehen wurde, daß
das Niveau des Steglitzer und Friedenauer Lokalpublikums (die Grenze zwischen den Bezirken
verlief damals direkt durch den Zuschauerraum!) durch den neuen Filmpalast gehoben
werde... Uraufführungen von großen (zunächst noch Stumm-) Filmen fanden im
Titania-Palast statt, Stars wurden in der Schloßstraße gesichtet und bejubelt und
brachten mondänes Premierenpublikum in die Vorstadt. Wenn auch in erster Linie als
Kinopalast konzipiert, gab es aber auch andere Veranstaltungen: Varietéprogramme,
Märchenaufführungen, Kulturveranstaltungen und Vorträge (u.a. der Bezirksämter) und
Konzerte. Die Berliner Philharmoniker waren von Anfang an dabei, trotz der schlechten
Akustik; denn obwohl das Haus auf dem neuesten technischen Stand war, hatte offenbar
niemand an die Akustik gedacht - sie war und blieb die Achillesferse des Titania-Palastes.
Durch immer wieder vorgenommene Umbauten wurde das ursprüngliche Konzept des
Titania-Palastes nach und nach verwässert. Ein heller Innenanstrich beseitigte den
"Märchencharakter", erhielt aber die ausgeklügelte Formensprache, die dann
späteren Veränderungen zum Opfer fiel. Die Orgel verschwand, und schließlich rückte
man auch der Außenfassade zu Leibe: die ersten Berliner Filmfestspiele bescherten ihr von
Glühbirnenreihen beleuchtete Spiegelwände im Eingangsbereich...
Durch die weitgehende Zerstörung der großen Säle in Berlin wurde der Titania-Palast in
der Nachkriegszeit zu einem wichtigen Veranstaltungsort und kulturellem Zentrum, nachdem
die amerikanischen Besatzungstruppen das Haus zuerst besetzt und dann nach und nach
freigegeben hatten. Die Gründung der FU wird 1948 hier gefeiert, ebenso 1954 die Wahl von
Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten. Leo Borchard, Wilhelm Furtwängler und Sergiu
Celibidache dirigieren die Berliner Philharmoniker (das erstemal bereits 3 Wochen nach
Kriegsende!), Yehudi Menuhin gibt Violinkonzerte; Marlene Dietrich besucht ihre
Heimatstadt und tritt im Titania-Palast auf (nicht von allen gern gesehen...);
Hausfrauennachmittage im Stil der noch fernsehlosen Fünfziger finden statt. Und
natürlich werden auch wieder Filme gezeigt - die alte bunte Mischung also.
Was soll man zum heutigen Zustand des Titania-Palastes sagen? Leuchtreklamen statt
Lichtarchitektur, in den Eingangsbereich zog ein Schuhgeschäft ein (wären es doch
wenigstens Luxusschuhe!), und auch die Seitenfront beherbergt Billigläden. Aller Glanz,
alle Schönheit dahin! Wenigstens die wieder eröffneten Kinosäle bringen ein Publikum
ins Haus, das immer noch bereit ist, sich von der Filmindustrie verzaubern zu lassen!
@ Sigrid Wiegand
Redaktion Stadtteilzeitung
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