Imposant: Die Eingangshalle des Kammergerichtshofs. Foto: Thomas Protz Lebendige Rechtsgeschichte in Schöneberg Das
Kammergericht am Kleistpark ist das höchste Berliner Gericht in Zivil-
und Strafsachen. Im vierstufigen Gerichtsaufbau Deutschlands steht es
über den Amtsgerichten und dem Landgericht, aber unterhalb des
Bundesgerichtshofs. Beim Kammergericht sind derzeit 27 Zivil- und fünf
Strafsenate eingerichtet. Dabei umfassen die vielfältigen Aufgaben
dieser Instanz die Bereiche Rechtsprechung, Verwaltung, Mediation, Aus-
und Fortbildung sowie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Monika Nöhre
ist mit dem Amt der Präsidentin des Kammergerichts betraut.
Vor
542 Jahren, also 1468, findet das Gericht seine erste urkundliche
Erwähnung. Als oberstes Hofgericht der brandenburgischen Markgrafen und
Kurfürsten sprach es Recht, allerdings ohne unabhängige Richter, wie
heutzutage. Mit Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze 1879 bekam es den
Rang eines Oberlandesgerichts. Als um 1900 in Folge eines Aufgaben- und
Bevölkerungszuwachses das ehemalige Collegienhaus in Kreuzberg zu klein
wurde, planten Paul Thoemer und Rudolf Mönnich und Fasquel einen neuen
neobarocken Gerichtsbau auf dem Gelände des ehemaligen Botanischen
Gartens Schöneberg. 1913 konnten nach vierjähriger Bauzeit die 540
neuen Räume durch Prinz August Wilhelm von Preußen ihrer Bestimmung
übergeben werden. Ergänzt wird der 1909 -1911 von Brodersen angelegte
Kleistpark durch die Königskolonnaden (1780) Carl von Gonthartds, die
ursprünglich am Alexanderplatz standen. Der Plenarsaal ist zweifellos
das architektonische Schmuckstück des Kammergerichts. Das Deckengemälde
von Maennchen zeigt die drei juristischen Grundlagen: Freiheit,
Wahrheit und Gerechtigkeit. Plenarsaal des Kammergerichts. Foto: Thomas Protz
Fragwürdige
Berühmtheit erhielt der Plenarsaal durch die im Nationalsozialismus vom
Volksgerichtshof durchgeführten Schauprozesse (August 44 - Januar 45)
gegen die am Hitler-Attentat Beteiligten. Links und rechts im Saal
versteckt aufgestellte Kameras dokumentieren bis heute das beispiellose
Vorgehen des Präsidenten des Volksgerichtshofs, Freisler, gegen die
wenigen deutschen Widerstandskämpfer, die während der „Prozesse“ hier
gedemütigt und verhöhnt wurden. Die Anzahl der Todesurteile gegen die
Widerstandskämpfer des 20. Juli überstieg 100 menschliche Schicksale.
Die
beteiligten Richter und Staatsanwälte wurden niemals von einem Gericht
der BRD zur Rechenschaft gezogen. Freislers Witwe erhielt
überraschenderweise noch viele Jahre lang eine Witwenpension für die
„Arbeit“ ihres Mannes!! - was nicht weiter erstaunlich ist, denn im
Nachkriegsdeutschland wurden weit über 90% der ehemaligen
Parteigenossen in das neu aufzubauende Justizsystem der BRD integriert
(s.a. Globke)! Balkon des Plenarsaals über dem Eingangsportal. Foto: Thomas Protz
Nach
dem II. Weltkrieg wurde das Kammergericht zunächst stillgelegt und
durch das sowjetische Stadtgericht in Lichtenberg ersetzt, bis der
alliierte Kontrollrat (ACA-Gebäude) dort wieder seinen Sitz bezog. 1945
übergaben die Hauptankläger der Besatzungsmächte dort dem
Militärgerichtshof ihre Anklageschriften gegen einige Hauptbeteiligte
des NS- Regimes, die dann in Nürnberg verhandelt wurden. Aufgrund von
Spannungen zwischen den alliierten Siegermächten im März 1948 stieg die
UdSSR aus und die Tätigkeit des Kontrollrats fand ein vorläufiges Ende.
1949
kam es daraufhin zu einer vorübergehenden Zweiteilung der deutschen
Rechtsprechung in ein „Ostkammergericht“ und ein
„Westkammergericht“. Das Ostkammergericht wurde durch eine
Gerichtsreform Anfang der 60`er Jahre aufgelöst, das Westkammergericht
bezog seinen Platz ab 1951 in der Witzlebenstrasse. Bis Oktober 1990
befand sich dann die Alliierte Luftkontrollbehörde (BA SC) in dem
Gebäude am Kleistpark. Erst nach der Wiedervereinigung konnte das
Kammergericht 1991 seinen alten Platz in Schöneberg wieder einnehmen.
Besonders
sehenswert ist auch die alte Bibliothek, die sich über vier Etagen
erstreckt. Hier befinden sich über 7000 m Bücher, deren Bestand zum
Teil bis ins 15 Jhd. zurückreicht.
Führungen (die nächste findet
am 07.04.2010 um 15:00 Uhr statt) durch das denkmalgeschützte Gebäude
sind unter folgender Telefonnummer zu vereinbaren: (030. 9015-2290) Thomas Geisler
. Februar 2010 Stadtteilzeitung
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