Künstler im Kiez: Der Carillonneur Jeffery Bossin

Führung im Turm: Die Große kann auch leise
Foto: Sascha Maikowski

Nicht nur zur Weihnachtszeit …


… aber ganz besonders im Advent sollten Sie sich ein Konzert des Berliner Carillonneurs Jeffrey Bossin nicht entgehen lassen.

Der gebürtige Kalifornier kam 1972 für ein Studium der Musikwissenschaften an der TU nach Berlin, seit 1980 lebt er in Friedenau. Deutsch als Fremdsprache hatte er bereits in der Highschool gewählt – und schloss als Bester seines Jahrgangs ab. Zum Carillon kam er eher durch Zufall: Der aus dem Amt scheidende Dekan der University of California ermöglichte durch eine generöse Spende den Bau eines Carillons an der Universität. Dort hatte Jeffrey Bossin ein Musikstudium begonnen, und er wurde dazu auserkoren, die Ausbildung zum Carillonneur an dem neu gebauten Instrument zu absolvieren. Im Universitätsorchester spielte er Klarinette – das war jetzt also nun wirklich etwas total Anderes - und sollte sein weiteres Leben bestimmen.

Bevor jetzt Fragezeichen in Ihren Augen entstehen (Was ist ein Carillon?) hier eine kleine Erläuterung: Carillons gehören zu den seltensten Musikinstrumenten überhaupt, weltweit gibt es nur ca. 700. Es handelt sich um große, mechanisch oder elektronisch bespielbare Glockenspiele, die üblicherweise in einem extra dafür konstruierten Turm oder in Kirch-oder Rathaustürmen beheimatet sind. Ein Carillon verfügt über mindestens 23 Glocken und zwei Oktaven. Die Glocken werden bei mechanischen Carillons (den „echten“) mittels eines Stockspieltisches von dem Carillonneur mit den Füßen und geballten Fäusten bespielt. Ihre Geburtsstunde liegt im Mittelalter, in Holland und Belgien entstanden die ersten. In Berlin beauftragte 1701 König Friedrich der I. seinen Schlossbaumeister Schlüter mit dem Bau eines Carillons in dem baufällig gewordenen Münzturm des Stadtschlosses. Ein ehrgeiziges Projekt: Der Turm sollte eine Höhe von 90 Metern haben. Schlüter scheiterte – der Untergrund war für ein Bauwerk dieser Größenordnung nicht geschaffen. Etwas später wurden dann Carillons in der Berliner Parochialkirche in der Klosterstraße und in der Potsdamer Garnisonskirche gebaut. Beide Bauwerke wurden im 2. Weltkrieg zerstört und nicht wie-der aufgebaut. In den USA und Kanada entstanden in den 20ern und 30ern des 20sten Jahrhunderts ebenfalls Carillons. Im Gegensatz zu den europäischen wurden diese aber in Parks oder Universitäten errichtet, man achtete bereits damals auf Anwohnerschutz. In Europa sind über
90 % der Carillons in Rathäusern oder Kirchen, also mitten in der Stadt, meistens auf Marktplätzen errichtet. Sie dienen hauptsächlich als Hintergrundkulisse für das Stadtbild, im Gegensatz zur „Alleinstellung“ wie in den USA.

Als Jeffrey Bossin Anfang der 80er an der TU studierte, gab es also in Berlin kein Carillon. Die 750Jahr-feier war in Planung, Ideen für innovative Projekte, des Ereignisses würdig, waren gefragt. In einer Broschüre ausgearbeitet reichte Jeffrey Bossin seine Vision vom Bau eines Carillons in Berlin der Kulturverwaltung ein. Sein Vor-schlag kam an, ein Sponsor (Daimler-Benz) wurde gefunden und nach etlichen verworfenen Plänen für den Standort einigte man sich auf den Platz im Tiergarten, unweit des heutigen Hauses der Kulturen der Welt.

Mit 42 Metern Turmhöhe und 68 Glocken, die größte wiegt 7,8 Tonnen (und sie hat sogar einen Namen), einem Gesamtgewicht des Instruments von 48 Tonnen und einem Tonumfang von 5 ½ Oktaven war es das damals größte und schwerste Carillon Europas. Und mit 1,3 Millionen DM Baukosten nur für das Instrument auch sicherlich das Teuerste. 2 Jahre war Jeffrey Bossin als Projektberater maßgeblich an Planung und Bau des Instruments beteiligt, 1987, zur 750Jahrfeier Berlins spielte er das Einweihungskonzert. 

Seitdem konzertiert Jeffrey Bossin regelmäßig in dem Carillonturm im Tiergarten, mit Sonderkonzerten zu nationalen und internationalen Gedenktagen oder Ereignissen wird er beauftragt, sogar in Fernsehfilmen hat er bereits mitgespielt. Er gastierte bei Festivals mit Carillonneuren aus Europa und den USA, etliche hat er selber organisiert. Über 50 Stücke komponierte Jeffrey Bossin nur für das Berliner Carillon, darüber hinaus reicht das Repertoire von Klassik bis Moderne.

Sorgen bereitet Jeffrey Bossin der fehlende Nachwuchs. Das mangelnde Interesse führt er hauptsächlich auf einen in Berlin nicht verfügbaren Übungsraum für Carillonspieler zurück, die Schüler müssen „trocken“ spielen, d.h. ohne Glocken – da erlahmt anfängliche Begeisterung recht schnell.

Bei den jetzt anstehenden Adventskonzerten wird das Programm von weihnachtlichen und klassischen Stücken bestimmt. Im Anschluss an die Konzerte bietet Jeffrey Bossin eine Turmführung an (6 Euro, ab 4 Personen). Nach dem Auf-stieg über die Wendeltreppe kann das Publikum auch den Arbeitsplatz des Künstlers bestaunen und - eine phantastische Aussicht genießen.  

Konzerte an den Adventssonntagen und den Weihnachtsfeiertagen jeweils 14 Uhr (kostenlos).
 
Carillon im Tiergarten
John-Forster-Dulles-Allee
(Vor dem Haus der Kulturen der Welt)
weitere Informationen unter
www.carillon-berlin.de



Dezember 2010  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis