Die Kaffeefahrt
Was sind das eigentlich für Leute, die
solche Kaffeefahrten veranstalten, deren Einladungen man immer mal wieder
im Briefkasten findet und die einem angeblich überteuerte Heizdecken oder
Dampfbügeleisen aufschwatzen? Meine Freundin Christa und ich wollen es
genau wissen und nutzen die nächste Gelegenheit, die sich bietet:
"Herzlichen Glückwunsch, Sie haben 2.000.- Euro gewonnen!" Wir
wagen einen Selbstversuch, was kann uns schon passieren, uns dreht
bestimmt niemand etwas an! Morgens um 7 steigen wir in einen Reisebus, der
hier und dort weitere Interessenten aufsammelt, die frierend und noch
müde nach und nach den Bus füllen. Meist sind es ältere Leute, die
wenigen Jüngeren sind vielleicht auch Reporter, denn natürlich will ich
in der Stadtteilzeitung über unsere Erlebnisse berichten! Das Ziel ist
un-bekannt, Buga 2008 hatte es in der Einladung geheißen, aber ein Blick
ins Internet hatte uns belehrt, dass es 2008 gar keine Bundesgartenschau
gibt. So fängt es schon mal an, es kann nur schlimmer kommen!
Die Störer
Nach einer Stunde sitzen wir in einem abgeranzten Dorfgasthof irgendwo
hinter Potsdam beim "reichhaltigen Frühstücksbuffet": 2
Brötchen, ein Stückchen Butter, 2 halbe Wurst- und eine Käsescheibe, 1
Näpfchen mit Marmelade. Dazu ein Pott Kaffee und ein kleines Glas Brause
(das "Freigetränk"!) Solchermaßen gestärkt harren wir der
Dinge, die da kommen sollen. Und die kommen in Gestalt eines launigen, gut
geschulten Herrn, der sich uns vorstellt und zu unserem Entschluß
gratuliert, die günstige Gelegenheit, die er uns bieten wird,
wahrgenommen zu haben. Verkaufen wolle er uns nichts, da brauchten wir
keine Angst zu haben, er habe nur wichtige und interessante Informationen
für uns. Ehe er die aber loswerden kann, müssen erst einmal die
"Störer" gebändigt werden, Leute, die mehr oder weniger
lautstark wissen wollen, wann denn die Preisverleihung stattfindet. Welche
Preisverleihung? Nun, die 2.000 Euro, die sie gewonnen hätten.
Programm "mundtot"
Jetzt läuft das "Programm mundtot machen" ab, das wir im Laufe
des Tages noch mehrmals vorgeführt bekommen werden: dumm machen (da haben
Sie wohl nicht richtig gelesen!), lächerlich machen (Sie können doch
nicht so naiv sein, zu glauben, dass Sie hier 2.000 Euro bekommen!),
isolieren (Sie stören hier die Menschen, die gekommen sind, um wichtige
Neuigkeiten für ihre Gesundheit zu erfahren!). Anschließend werden sie
aufgefordert, entweder Ruhe zu geben oder den Saal zu verlassen. Einige
bleiben brummend, andere gehen schimpfend raus. Aber wohin soll man gehen
hier in der Pampa und bei dem Wetter?
Keiner verlässt den Raum!
Nachdem das geklärt ist, wendet sich der wohlwollende Herr den
Interessierten zu, die von den versprochenen Segnungen profitieren wollen.
In einem Frage- und Antwortspiel werden ihre Krankheiten erforscht, mit
denen man bei alten Menschen ja immer rechnen kann, aber gegen die es
durchaus Mittel gebe, die vielleicht nicht jedem bekannt seien, denn die
Pharmaindustrie wäre nicht daran interessiert, dass die Menschen gesund
werden, dann mache sie ja keine Geschäfte mehr! Dem kann jeder zustimmen,
und das Interesse wächst. Kritisch und kenntnisreich schleicht sich der
Mann in das Vertrauen seiner Zuhörer ein, und nachdem die Sorge
hinreichend geschürt worden ist, hat er Lösungen für die diversen
Probleme parat. Aber das war erst ein Vorspiel zum Anwärmen, jetzt kommt
die Hauptattraktion, Thema: Sauerstoff. Wieder werden die Zuhörer
einbezogen, damit die Aufmerksamkeit nicht erlahmt, jedes Abschweifen wird
sofort registriert und thematisiert: "Sie schlafen doch hier nicht
etwa? Ich gebe mir solche Mühe mit Ihnen, und Sie unterhalten sich
andauernd!" und beschämt oder auch verstockt hören wieder alle zu.
Wer raus muß, wird von einer kleinen Kunstpause im Vortrag begleitet,
alle Augen richten sich auf ihn, auch wenn er wieder hereinkommt - ein
subtiles Disziplinieren, so schnell geht keiner mehr raus.
Interesse wird geweckt
Der Vortrag über den Sauerstoff hat es in sich: fundiert, interessant und
beeindruckend werden wir informiert über seine Bedeutung für unser Leben
und unsere Gesundheit. Manfred von Ardenne, der Erfinder der
Sauerstofftherapie, habe ein Gerät entwickelt, mit dem man Sauerstoff
einatmen und seine Gesundheit und Frische lange erhalten könne,
allerdings viel zu groß, viel zu teuer, da gebe es Besseres! Von der
Sauerstofftherapie habe ich auch schon gehört und sie als für mich nicht
bezahlbar abgeschrieben. Nun gibt es hier eine Alternative, kleiner,
preiswerter und genauso effektiv - interessant. Wie teuer? Über Preise
wird noch nicht gesprochen, da muß erst einmal noch mehr Interesse
geweckt werden. Stattdessen wird darauf hingewiesen, dass die
Krankenkassen einen nicht unerheblichen Zuschuß gewähren, eigentlich
wollte ein Vertreter des Verbandes der Krankenkassen hier sein und uns
persönlich darüber informieren - "Was, er ist schon wieder
gegangen? Wie ärgerlich!" - aber er hat einen dicken Umschlag mit
den nötigen Formularen hinterlassen. Ziemlich durchsichtig! Einige der
Geräte werden hereingebracht, und ein paar Auserwählte dürfen
probeatmen und müssen ihre Erfahrungen zum Besten geben. Erst jetzt,
nachdem sie die anderen zusätzlich motiviert haben, wird die Rechnung
aufgemacht: "eigentlich" koste das Gerät 2.000 Euro, aber die
Firma gewähre noch einen Bonus, und mit dem Krankenkassenzuschuss blieben
am Ende etwa 980 Euro für den Käufer übrig - natürlich nur für
diejenigen, die hier gleich bestellen, Ratenzahlung möglich. Nicht von
Pappe! Der Hauptclou kommt jedoch erst: nicht jeder darf bestellen, die
Berechtigung dazu wird verlost. Darauf muß man erst einmal kommen! Ich
bin froh, dass ich nicht unter den Ausgelosten bin und mich entscheiden
muß. Gewinnen tun doch immer die anderen, und jetzt hat es endlich
geklappt, und man soll ablehnen? Als es mich im 3. Wahlgang dann doch noch
erwischt, spüre ich deutlich den Sog des Gewinns. Trotzdem lehne ich
standhaft ab, andere bestellen das Gerät, manche stornieren den Vertrag
im Laufe des Tages, nachdem sie zum Nachdenken gekommen waren.
Keine Zeit zum Nachdenken!
Denn das gehört zur Methode: keine Zeit zum Überlegen geben! Man muß
stundenlang stillsitzen und sich konzentrieren, mitdenken, und das ist
eine ziemliche Zumutung gerade für viele der zum Teil schon recht alten
Leute. Da muß schon aus Sicherheitsgründen eine Mittagspause eingelegt
werden, auch auf die Gefahr hin, dass manche abspringen. Gerade diese
Alten, die meistens nicht soviel Geld haben, um sich auf solche
abenteuerlichen Käufe einzulassen und hier nur zur Unterhaltung sind,
werden dann aber auch noch rekrutiert, das scheint Ehrensache für die
Veranstalter zu sein: so wenige wie möglich sollen hier weggehen, ohne
etwas gekauft zu haben, wenigstens eine Massagebürste oder ein Töpfchen
Teebaum-creme! Methode: Einschüchterung und Diffamierung: "Sie
kommen umsonst her und lassen sich beköstigen, was glauben Sie, was das
alles kostet, und dann wollen Sie nicht mal eine Kleinigkeit kaufen? Das
ist eine Unverschämtheit, dann können wir Sie nicht mehr einladen!"
Auch das verfehlt seine Wirkung nicht.
Kauflust liegt in der Luft
Der Ton gerät allmählich aus den Fugen, der Druck nimmt zu, und wir
finden das alles gar nicht mehr lustig, sondern hard stuff. Müde nehmen
wir zum Schluß das versprochene "Lebensmittelpaket" in Empfang:
ein Glas saure Gurken, eine kleine Flasche Möhrensaft, Schmelzkäse, eine
Büchse Heringsfilets, 4 Aufbackbrötchen und dürfen endlich nach 12
Stunden nach Hause fahren, um eine Erfahrung reicher. Aber ich will es
nicht verschweigen: auch ich habe eine Kleinigkeit gekauft! Nicht, weil
ich mich unter Druck gefühlt oder irgendwelchen Versprechungen geglaubt
hätte, sondern weil plötzlich so eine allgemeine Kauflust in der Luft
lag - die hatte ich nicht einkalkuliert.
Fazit: wogegen man sich nicht ausdrücklich
wappnet, dem ist man leichter ausgeliefert!
Sigrid Wiegand
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Mai 2008 Stadtteilzeitung
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