Kinder in der flexiblen Eingangsstufe auf der Neumark-Grundschule - festgehalten in einem „ethnografischen“ Film

Alltag ganztägigen Lernens, festgehalten in einem Film

"Du lernst nicht für die Schule, sondern für das Leben". Diesen Satz hört fast jeder in seiner Schulzeit. Aber dieser Satz klingt so, als ob das Leben erst nach dem Lernen beginnen würde und das Lernen ein Vorprozess zum Leben sei. Aber das Lernen ist ein Teil des Lebens und muss den ganzen Menschen erfassen mit all seinen Sinnen.

Auf dieser Philosophie basiert auch das ganzheitliche Lernen, das in der Neumark-Grundschule im Schöneberger Norden tagtäglich erfolgreich praktiziert wird. In dieser Ganztagsschule begegnen die Schüler den ganzen Tag und auf facettenreiche Weise einem Lernen, das vor allem Lust und Neugierde auf mehr Lernen erweckt.

Als Außenstehender fragt man sich: Wie geht das und wie kann das funktionieren? Dr. Bina Elisabeth Mohn und Dr. Sabine Hebenstreit-Müller haben deshalb in dem Film "Schule für Kinder: Rhythmen des ganztägigen Lernens im Grundschulalter" die Kinder der flexiblen Eingangsstufe (erste und zweite Klasse) in ihrem Schulalltag begleitet.

In diesem sehr gelungenen Film werden die Zuschauer zu stillen Beobachtern des Schulalltags dieser Kinder und entwickeln ein Naherlebnis des ganzheitlichen Lernens. Sie erleben, wie das Lesen spielerisch und auf vielerlei Wegen in das Leben der Kinder integriert und zum Erlebnis wird: durch Lese-Performance oder individuelle Beschäftigung mit einer Zeitung oder einem Buch, mal in einer gemütlichen Atmosphäre begleitet mit klassischer Musik, mal abenteuerlich mit der Taschenlampe in einem dunklen Raum. Beim Essen liest die Lehrerin den Kindern einige Seiten spielerisch vor, und eine Schülerin liest das Buch nach dem Essen neugierig selbst weiter und erzählt ihrer Mitschülerin von dem Inhalt. Dies zeigt, dass durch das Vorlesen nicht nur das Verstehen, Empfinden und Erinnern unverkrampft trainiert wurde, sondern auch die Fokussierung der natürlichen Neugierde eines Schulkindes auf das Lesen.

Der Film ist keine Dokumentation, sondern versteht sich als ethnographische Studie: Das heißt Schule und Kinder werden betrachtet, als wären sie einem "fremd", ähnlich einem Ethnologen, der eine fremde Kultur er-forschen will. Wie durch ein Fenster nimmt man an den kindlichen Weltzugängen teil und wird von ihnen mitgerissen. Vor allem die Nahaufnahmen sind es, die faszinieren: Eine kleine Hand beim Schreiben erster Worte oder der Blick der Kamera auf den Mund bei ersten Leseversuchen und dann das strahlende Gesicht des Kindes, das den Zuschauer berührt. Neben den lehrplanmäßigen Bildungsinhalten wird aber auch ganz deutlich, wie Kompetenzen jenseits des formalen Bildungsplans vermittelt werden. Das Herstellen und Aufrechterhalten sozialer Beziehungen, sich gegenseitig unterstützen, einander zuhören, also das "Miteinander" z.B. im gemeinsamen Gruppenlernen wird ebenso gefördert wie die Entscheidungsfähigkeit des Kindes z.B. zu individuellem Lernen.

Persönliche Lernbeziehungen zu den Lehrern und die Motivation zur Eigeninitiative geben den Kindern ein Gefühl von Sicherheit und Lernfreude jenseits von Druck und Konkurrenz. Die Klassenlehrerin Frau Schulte-Heuthaus als eine der Akteurinnen im Film stellt rückblickend fest, "dass man die Kinder noch mehr laufen lassen kann, dass ganz viel nebenbei passiert, die Kinder lernen den ganzen Tag mit- und voneinander."

In einem weiteren Teil der Film-DVD kommen die lernenden Eltern in den Blick. Drehort ist ein Frauencafé im Stadtteil, wo Pädagogen den Eltern ganz informell bei einer Tasse Tee nahe bringen, welche Konzepte und Auffassungen des Lernens bei ihren Kindern angewendet werden. Dabei werden die Eltern "mit ins Boot" genommen und als die besten Erzieher ihrer eigenen Kinder ermutigt - nützliche Tipps für den Familien- und Erziehungsalltag inbegriffen.

Prof. Horstkemper vom Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Potsdam kommentiert die Videosequenzen im Film aus Sicht der Unterrichtsforschung. Sie bringt den Filminhalt auf den Punkt: "Das ist Lernen hoch sieben." Wenn man diesen Satz mathematisch interpretiert, also: wenn das Lernen an einem Tag in einer Woche mit dem Lernen der anderen Tage in der Woche multipliziert wird, dann ist das Ergebnis tatsächlich Lernen hoch sieben!

Nahid Stürzer und Margret Xyländer

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Juli 2008  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis