Nachruf von Bodo Förster | ||||
Annemarie Renger - Ein Leben für die
Politik
Annemarie Renger, geb. Wildung wurde 1919 in Leipzig als fünftes Kind einer Familie mit sozialdemokratischer Tradition geboren. Ihr Vater, Fritz Wildung, war von Beruf Tischler, ehrenamtlicher Stadtrat in Leipzig und Chefredakteur der "Arbeiter-Turnzeitung". In Berlin-Wilmersdorf ist eine Straße nach ihm benannt. Die Mutter, Martha Wildung, war 1908 in die SPD eingetreten, eben zu dem Zeitpunkt, als Frauen zum ersten Mal Mitglied werden konnten. Die Kinder "waren alle im Arbeitersportverein, die Älteren in der Partei und (Annemarie) bei den Roten Falken" und den Naturfreunden. 1924 zog die Familie nach Berlin, denn der Vater übernahm die Geschäftsführung der "Zentralkommission für Arbeitersport- und Körperpflege". Annemarie Rengers prägende Erinnerung an die Zeit der Zwanziger Jahre und später ist der Kampf um den Erhalt der Weimarer Republik: "Bei uns sind viele bekannte Persönlichkeiten ein und aus gegangen. Während der Arbeitersport-Internationale 1931 in Wien marschierte ich an der Seite von Paul Löbe." Der Vater war der Mitbegründer der "Eisernen Front" und die Tochter trug die "blaue Falkenbluse und die drei Pfeile mit Stolz". Sie erlebte 1932 als Jugendliche die letzte Verfassungsfeier im Reichstag in Anwesenheit des Reichspräsidenten von Hindenburg - "mir schien dieser Mann uralt und leidend". Die Familie wohnte in Berlin-Schöneberg "an der Ecke Bülowstraße / Steinmetzstraße (Nähe Nollendorfplatz), nicht weit entfernt vom Sportpalast, in dem laufend Kundgebungen der sich bekämpfenden Parteien von rechts bis links stattfanden. Nach jeder Veranstaltung zogen die emotional aufgeheizten Versammlungsteilnehmer an uns vorbei. Menschen prügelten aufeinander ein - berittene Polizei trieb sie auseinander… Auf Lastwagen fuhren grölende SA-Leute mit Hakenkreuzfahnen durch die Gegend oder auch ‚Stahlhelmer' mit schwarz-weiß-roten Fahnen… Wie das in Berliner Häusern üblich war, bewohnte auch bei uns der Portier den Souterrain, gleich neben dem breiten, teppichbelegten Treppenaufgang. Der Hausmeister flaggte natürlich rot, mit Hammer und Sichel. Im ersten Stock wohnte der Hausbesitzer, dort wurde schwarz-weiß-rot geflaggt. Im zweiten und dritten Stock hing die Hakenkreuzfahne heraus. Bei den Wildungs, als einzigen im Haus, flatterte die schwarz-rot-goldene Fahne. Sie war so lang, dass sie im Wind die Hakenkreuzfahne beinahe zudeckte". Aus privaten Gründen erfolgte später der
Umzug nach Steglitz. "Auch in der Schule waren politische Veränderungen nach der Wahl zum Preußischen Landtag am 24. April 1932 unübersehbar." Die Nationalsozialisten hatten einen hohen Stimmengewinn erzielt. "Während des Religionsunterrichts - ich nahm ja offiziell nicht mehr teil, hörte aber in meiner Freistunde gern zu - machte sich ein Lehrer über das parlamentarische System lustig... Ich sprang auf und erklärte dem Lehrer, was er da, ausgerechnet auch noch während des Religionsunterrichts, verkündet habe, fände ich empörend. Offenbar war der Lehrer so perplex, dass er fast entschuldigend sagte, er habe es nicht so gemeint". Sie erinnerte sich weiter: "Am 30. Januar 1933 gingen für viele von uns ‚die Lichter aus'. Der Tag der Machtübernahme war ein Montag, an dem sich, wie an jedem Wochenbeginn, Schüler und Lehrerkollegium in der Aula versammelten. An diesem 30. Januar herrschte eine eigenartige Atmosphäre. Offensichtlich war es schon am Morgen durchgesickert, dass Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernennen würde. Bevor die Schulleiterin der "Augusta-Schule", Frau Oberstudiendirektorin Dr. Mayer-Kulenkampff (Anm. d. Red.: Wir berichteten in der März-Ausgabe), das Wort ergreifen konnte, sprang mein langjähriger Deutschlehrer, das NSDAP-Parteiabzeichen am Revers, auf die Bühne und improvisierte eine glühende Rede auf den ‚Retter des Vaterlandes', für den er seinen Führer hielt." Die Machtübertragung an Hitler schuf eine völlig neue Situation für die Familie. Die Arbeitersportbewegung wurde verboten. Der Vater wurde arbeitslos, auch zur Gestapo vorgeladen, "wir lebten in ständiger Angst, aber wir hatten Glück in dieser Zeit". 1934 musste sie die Schule aus der
Untertertia (8. Klasse) verlassen, weil ein vom Vater beantragtes
Schulstipendium wegen der "politischen Unzuverlässigkeit" des
Vaters abgelehnt wurde. Sie absolvierte eine Lehre als Verlagskauffrau in
einem Sachbuchverlag, dessen Besitzer der Vater einer Schulfreundin war.
1937 machte sie die Abschlussprüfung und heiratete 1938 den Werbeleiter
Emil Renger, der aus dem Krieg nicht zurückkehrte. Von 1953 bis 1990 war sie Mitglied im
Deutschen Bundestag, auch Mitglied des Parteivorstandes der SPD (1961 bis
1973) und des Präsidiums der SPD. "Wenn ich in Berlin bin, komme ich gelegentlich an der alten Augusta-Schule vorbei, und an meine Schulzeit habe ich gute Erinnerungen… Ich habe in meiner Schule, dem Augusta-Lyzeum in Berlin, einer aufgeklärt konservativen Schule, schon damals diskutiert." Annemarie Renger ist am 3. März 2008 verstorben. Bodo Förster . |
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