Orte und Plätze in Schöneberg
Vom Maybach- zum Perelsplatz

Als Friedenau in den frühen 1870er Jahren als Villenkolonie geplant wurde, projektierte man auch sog. Schmuckplätze, teils runde, an Kreuzungen gelegene wie der Renée-Sintenis-Platz mit seinem Pendant, den früheren Schillerplatz an der Wiesbadener/Stubenrauchstraße, und den Cosimaplatz mit dem gleichfalls nicht mehr vorhandenen Hamburger Platz an der Kreuzung Görresstraße/Südwestkorso.

Anders der Perelsplatz: eine langgestreckte grüne Oase, eher Anlage als Schmuckplatz mit abgezirkelten Blumenrabatten (sein geplantes Pendant musste dem Stubenrauchfriedhof weichen).

Lang und schmal erstreckt sich die ursprünglich Berliner Platz getaufte Grünanlage zwischen Handjery- und Lauterstraße, bebaut nur an den beiden Längsseiten. Im Volksmund wurde sie lange "das Birkenwäldchen" genannt, und auch heute noch verdiente der Platz diesen Namen, denn lichte weiße Birkenstämme bestimmen sein Bild.
1884 wurde er in Maybachplatz umbenannt nach dem damaligen preußischen Verkehrsminister. 1961 ehrte man den Widerstandskämpfer Friedrich Justus Perels, der vom sog. Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und kurz vor Kriegsende von der SS erschossen wurde, indem man dem Platz seinen Namen verlieh und damit nicht zuletzt die Friedenauer Bevölkerung an ihn erinnerte, der 1922-1929 das Friedenauer Gymnasium besuchte. Eine Gedenktafel an der Schule weist auf ihren ehemaligen Schüler Perels hin.

Die an der Längsseite des Platzes gelegenen Häuser Perelsplatz 10 bis 16 wurden zwischen 1891 und 1894 erbaut, das gegenüberliegende Friedenauer Gymnasium 1902/03 (seit 1958 Friedrich-Bergius-Realschule - s. Stadtteilzeitung Nr. 28, Febr. 2006) mit der anschließenden Villa, bis in die 1940er Jahre Wohnsitz des Schuldirektors, heute Kindertagesstätte des Pestalozzi-Fröbel-Hauses; und "Friedenaus schönstes Fachwerkhaus" (denkmalgeschützt) 1909, - einstmals eine Bedürfnisanstalt, seit 1999 (nach langem Leerstand) Eisdiele und schmuckes Café.

Die Zeiten der Villenkolonie Friedenau waren vorbei, längst baute man hohe Mietshäuser, die mehr Rendite abwarfen und eine Änderung der Bauordnung bedingten. Man sieht den Häusern am Perelsplatz an, dass sie noch aus der "guten alten" Gründerzeit stammen. Der Grundstücksspekulant Georg Haberland, der ab 1904 das sog. Wagnerviertel errichten ließ, baute "modern" im Landhaus- und Jugendstil; die großen Häuser am Perelsplatz jedoch zieren Fassaden mit Säulen und Kassetten, schmiedeeisernen Balkongittern und Portalen, einige sind denkmalgeschützt. Hier wohnten die "feinen Leute" mit Dienstpersonal in großzügigen Wohnungen.

Die Jahre nach 1945 haben uns hier ein bemerkenswertes Beispiel beschert: durch Kriegseinwirkung beschädigte Fassadenteile wurden im Berlin der Nachkriegszeit gern erbarmungslos abgeschlagen, oft, aber vermutlich nicht immer aus praktischen bzw. finanziellen Gründen: weg mit den alten Zöpfen! An den beiden Häusern Nr. 14/15 und Nr. 16 können wir nun das Vorher-Nachher studieren: links die alte, original restaurierte Kassettenfassade mit ihren Säulchen und Paneelen, schwer und bodenständig über hundert Jahre am Platz, sozusagen die Urgroßmutter; rechts daneben leicht und luftig ihre Urenkelin, hellgrau mit im Putz angedeuteten Kassetten, noch mit den alten Balkongittern und Portaltüren - beide aus der gleichen Familie, beide schön: ein Beispiel einer gelungenen Transformation in eine neue Zeit. Die gleiche Verjüngungskur bei den Häusern Nr. 10 und Nr. 11 scheint mir nicht ganz so überzeugend. Dazwischen zwei alte Friedenauer Backsteinvillen, sicher die ersten Häuser am Platz, wie sie verbindlich für die Kolonie sein sollten. So können wir an diesem kurzen Straßenstück Friedenauer Baugeschichte ablesen.

Auf hundert Jahre alten Fotos kann man sehen, dass der Perelsplatz sich kaum verändert hat. Wenn man ein Bild vom Friedenau des frühen 20 Jh. sucht - hier kann man es finden. Wie eh und je kreuzen sich die zwei Hauptwege in der Mitte der baumbestandenen Rasenflächen, zur Handjerystraße hin begrenzt von einer kleinen Anlage mit Kriegerdenkmal, an der Lauterstraße vom Spielplatz und dem Sintflutbrunnen. Der Brunnen wurde 1895 vom Bildhauer Paul Aichele gestaltet und von Georg Haberland gestiftet, der ihn zu-erst am von ihm bebauten Südwestkorso aufstellen ließ, auf dem Hamburger Platz, der 1931 dem verkehrsgerechten Ausbau zum Opfer fiel (wie nach dem 2. Weltkrieg auch der Schillerplatz). Den Straßenbahnschienen musste auch der Brunnen weichen und fand seinen Platz am damaligen Maybachplatz. Da auch hier keine Sintflut zu erwarten ist, nimmt er sich irgendwie etwas deplaciert aus mit seinen sich dramatisch dem Trockenen entgegenwindenden Gestalten. (Einer Familiensaga nach soll übrigens einst meine Tante Lene als Modell für das Baby gedient haben...) Eine zeitgemäßere Deutung wird dem Lankwitzer Heraldiker Ch. Teichgraeber zugeschrieben: "Familjenkrach! Du kannst ja meinetwejen mit deine Freundin zusammenleben, det Kind aba behalte ick!" So sind sie, die Berliner, wenn man ihnen mit hehrem Pathos kommt!

In den frühen 50ern drohte der Maybachplatz zu verwahrlosen. Die Kriegsschäden waren noch nicht beseitigt, die Rasenflächen heruntergekommen, und uns Schülern der Höheren Wirtschaftsschule Schöneberg, die ihren Unterricht im alten Friedenauer Gymnasium abhielt, wurden oft die Bänke von Betrunkenen aus der alten Eckkneipe streitig gemacht, die ihren Rausch ausschliefen. Doch diese Zeiten sind lange vorbei. Der Platz und seine Häuser wurden nach und nach restauriert, die alten Laternen von 1905 mit Bürgerabstimmung 1979 gegen modernere ausgetauscht. Im Schatten der dichten Baumkronen wirkt er gelegentlich dunkel und geheimnisvoll. Trotz der Schummrigkeit aber herrscht meist ein lebhaftes Treiben: Eltern bringen ihre Kinder in den Kindergarten (wie wir einst in den 60ern), Schüler und Schülerinnen kommen zum Unterricht in die Friedrich-Bergius-Schule - die am 18. Oktober einen Festakt zum 75. Jahrestag der Verleihung des Nobelpreises an ihren Namensgeber, den Chemiker Friedrich Bergius veranstaltet - die Kleinsten bevölkern den Spielplatz, und die Größeren toben auch schon mal durch die Anlagen. Wer zum Markt auf dem Breslauer Platz will oder zur S- und U-Bahn auf der anderen Seite , nimmt seinen Weg unter den Bäumen. Die Stimmung im griechischen Gartenrestaurant Medusa an der Handjerystraße und im kleinen Café auf der anderen Seite strahlt auf den Platz aus und hat ihm ein gewisses Flair verliehen. Ein Friedenauer Biotop!

Sigrid Wiegand

Oktober 2006  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis