Jagd auf Graffiti-Sprayer
Verhältnismäßigkeit der Mittel gewährleistet?

Graffitis begegnet man allerorten, an Häuserwänden, im Bus und in der U-Bahn, an und unter Brücken, an Denkmälern und Stromverteilerkästen. Sofort wird bei diesem Anblick häufig an die Jugendlichen gedacht, die mit ihren dicken Stiften oder Spraydosen unterwegs waren und es einfach nicht lassen können, ständig und überall ihr Revier zu markieren.

Ist dies nun harmloser Ausdruck jugendlicher Unbedachtsamkeit oder ein Vergehen, das mit allen dem Staat zur Verfügung stehenden Mitteln - Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht und Hubschraubern - geahndet werden muss? Vor einigen Wochen fand ein nächtlicher Hubschraubereinsatz über der S-Bahnstrecke in Höhe der Saarstraße statt, dort wo die Autobahn unter die Brücke führt. Nach dem etwa einstündigen Einsatz wurden einige Jugendliche vorläufig festgenommen.

Abgesehen von Hubschraubereinsätzen geht es im Kern der gegenwärtigen Diskussion über die strafrechtliche Verfolgung von Graffiti-Sprayern mit Hilfe des neuen Gesetzesvorhabens darum, ob Graffiti auch dann eine Straftat (sprich: Sachbeschädigung) sein soll, wenn zwar nicht die Substanz des betroffenen Gegenstands (weil sich die Farbe leicht wieder abwaschen lässt), aber das so genannte äußere Erscheinungsbild beeinträchtigt wird. Der strafrechtliche Schutz dient demnächst also auch dem ästhetischen Empfinden.

Hier ließe es sich streiten. Nicht alle Graffitis sind Schmierereien, es gibt vereinzelt auch Künstler unter den Jugendlichen, deren öffentliche Malerei ein Ausdruck ihrer Lebenssituation ist. Andererseits, so sagen auch die Straßensozialarbeiter von gangway e. V. (Team Schöneberg in der Dominicusstraße), zielt die Mehrzahl der Jugendlichen allein darauf ab, sich mit ihren Schriftzügen von anderen Jugendlichen abzuheben und "Gebietsansprüche" zu erheben. Positiv dargestellt heißt dies, dass sie auf der Suche nach einer Art Heimatgefühl sind und sie es darin entdecken, ihr Graffiti auf dem S-Bahn-Waggon im fernen Marzahn zu sehen.

Die geplante Gesetzesverschärfung ist gerade fraglich vor dem Hintergrund, dass es der Reiz des Verbotenen ist, der die Jugendlichen antreibt. Auch stellt sich die Frage, ob dem Eigentümer des betroffenen Objekts denn damit gedient ist, dass der Jugendliche bestraft wird - im Wiederholungsfalle verhängen die Gerichte auch schon mal Freiheitsstrafen von 6 Monaten. Ihm kommt es mehr darauf an, dass sein Eigentum gereinigt wird und er nicht auf den Kosten sitzen bleibt. Dafür ist nicht die Staatsanwaltschaft oder der Strafrichter, sondern das Zivilrecht zuständig. Hier bedarf es keiner Gesetzesverschärfungen.

Maßgebend wird für die Jugendlichen Aufklärung nötig sein (etwa dass sie die Kosten der Beseitigung zu tragen haben) und Rechtsbewusstsein. Die Verhängung von Freiheitsstrafen wegen geringer Delikte ist hingegen häufig der Beginn einer "kriminellen Karriere".


Rechtsanwalt Wolfgang Kotsch

Juni 2005  StadtteilzeitungInhaltsverzeichnis

Für Besucher aus der Kiezbox: ZURÜCK ZUR KIEZBOX