Werner Schröder


  
"Mein Leben für das Berliner Aquarium"

Wer hätte gedacht, dass ein Aquariumsdirektor Wasserflöhe und Taufliegen züchtet, nächtens Frösche in seiner Wohnung fotografiert (in selbst gebauten Kulissen!) und viele Tiere für das Aquarium persönlich fängt?
Werner Schröder, der langjährige Direktor des Berliner Aquariums, hat es gemacht! Von Ausflügen in die Umgebung Berlins (und später von seinen Reisen in die entferntesten Teile der Welt) kehrte er nie ohne Schachteln, Beutel und Büchsen voller Tiere (oft im Handgepäck) zurück, die gerade in der ersten Nachkriegszeit dringend gebraucht wurden.
"Ich unternahm ... Ausflüge in die nähere Umgebung Berlins. Bei dieser Gelegenheit wurde jeder Stein gewendet, um zu schauen, ob nicht vielleicht ein Tier darunter lebte, das wir im Zoo unterbringen sollten, denn wir konnten so gut wie alles gebrauchen" notierte er über die Zeit unmittelbar nach dem Krieg.

Werner Schröder, geb. 1907 in Bochum, seit seinem 6. Lebensjahr. aber in Berlin ansässig - wie alle richtigen Berliner also ein "Auswärtiger" - wurde bald nach Kriegsende vom damaligen Berliner Magistrat dazu bestimmt, den Zoo wieder aufzubauen, zu-nächst als stellvertretender Leiter und Geschäftsführer, gemeinsam mit Katharina Heinroth, der kommissarischen wissenschaftlichen Leiterin, später als ordentlicher Verwaltungsdirektor und Vorstandsmitglied des Aufsichtsrates. Er war prädestiniert dazu: der studierte Zoologe, Botaniker und Paläontologe hat schon als Kind im Wilmersdorfer Fenn Lurche, Molche und Salamander gefangen und nach Hause gebracht, ja, nach Aussagen seiner Mutter bereits im Kinderwagen nach Käfern gegrapscht, und richtete das Schulaquarium in der Wilmersdorfer Oberrealschule ein. Krokodile, Frösche und Schlangen bevölkerten zum Mißfallen seiner Schwestern die Wohnung ("Da ist schon wieder ein Krokodil in der Badewanne; Werner soll es rausnehmen"...), und schon als Schüler und später als Student knüpfte er Kontakte zu Aquariumsdirektoren und Tierhändlern.

Nach Kriegsende waren der Zoo größtenteils, das Aquarium vollständig zerstört. "Alles lag in Schutt und Asche - welch eine Trostlosigkeit!" Sozusagen wie ein zerstörtes Biotop lagen Zoo und Aquarium mitten im gleichermaßen zerstörten Berlin, der Wiederaufbau lief parallel zum Aufbau der Stadt, die Beschaffung von Geld und Material stieß auf ähnliche Schwierigkeiten.

Es ging volkstümlich zu im Zoo-logischen Garten der Nachkriegsjahre: viele Berliner brachten ihre Hausiere in der Hoffnung auf eine bessere Ernährung für sie, Angler spendeten Plötzen und Barsche und die Kinder sammelten Weinbergschnecken und züchteten Kaulquappen als Futter für "ihre" Zoo- und Aquariumstiere; was Hunger ist, wußten sie! Bei den Russen wurden gegen Schnaps Pferde eingetauscht (und auch Pferdefleisch als Futter für die Raubtiere), Zirkus- und "übrig gebliebene" Tiere von der Grünen Woche fanden eine Heimstatt im Zoo und halfen, den Tierbestand wieder aufzufüllen. Für exotischere Tiere fehlten Geld und Unterbringungsmöglichkeiten, denn in der Anfangszeit erhielten Zoo und Aquarium keine finanzielle Unterstützung. Da war Selbsthilfe angesagt: Kunst- und Hundeausstellungen fanden statt und sorgten für Besucherströme, das Oktoberfest wurde einige Jahre lang im Zoologischen Garten gefeiert und brachte viel Geld ein, es gab Box- und Ringkämpfe und das beliebte Catchen. Eine Zeit-lang schlug der Zirkus Busch seine Zelte auf, und das Pfingstkonzert im Zoo ist Legende.

Die eigentliche Leidenschaft von Werner Schröder war jedoch wieder das Aquarium, um dessen Wiederaufbau er sich mit viel Arbeit und Zähigkeit verdient machte: "Ich sah meine Lebensaufgabe im Aufbau des total zerstörten Aquariums". Folgerichtig lautet auch der Untertitel der nach seinem Tod von seiner Witwe Inge Sievers Schröder herausgegebenen Erinnerungen: "Mein Leben für das Berliner Aquarium". Detailliert und bereichert mit vielen interessanten Fotos berichtet er nicht nur über den Aufbau von Zoo und Aquarium nach dem Krieg und ihr Wachstum und Gedeihen, das er sich getrost auf seine Fahne schreiben konnte, sondern auch über seine Kindheit, Jugend und Studentenzeit mit ihren politischen Wirren. Er ist ein idealer Zeitzeuge, sowohl was die Zeit nach dem ersten Weltkrieg angeht als auch die Geschehnisse und Entwicklungen in der Zeit von Nationalsozialismus, zweitem Weltkrieg und Nachkriegszeit. "Nach 1945 waren wir im Ausland zunächst nicht sehr willkommen. Behutsam nahm ich erste Kontakte mit dem Tierhandel auf. Und es tat mir gut zu spüren, daß wir langsam wieder in die europäische Völkergemeinde aufgenommen wurden", schrieb er.

Das Interessanteste ist jedoch seine Liebe zu den Tieren. Man erfährt viel Spannendes und Wissenswertes und auch manch Skurriles über einzelne Tierarten und ihre Lebensräume, die man auch auf zahlreichen schönen Fotos betrachten kann, über den Umgang mit Heimtieren, die Entwicklung der Aquaristik. So schlug er mit seiner Arbeit eine Brücke zwischen Wissenschaft und Volkstümlichkeit, war einerseits immer noch der kleine Junge, der selbstgesammelte Tiere nach Hause bringt und, erkannt oder unerkannt, zwischen den Besuchern oder auch nachts durch die Gänge seines Aquariums streift, und andererseits der Direktor, der verantwortlich war für der Welt artenreichstes Aquarium. Entsprechend schwer fiel ihm auch 1977 der Abschied nach fast 30 Jahren. Er starb am 2. Juli 1985. Wir können ihn heute nicht mehr befragen, aber wir können sein Buch lesen, nach dessen Lektüre man das Berliner Aquarium mit ganz anderen Augen sieht. Und wir können sein Ehrengrab auf dem Friedenauer "Künstlerfriedhof" in der Stubenrauchstraße besuchen.
Sigrid Wiegand

Werner Schröder:
Zum Abschied ein Krokodil.
Mein Leben für das Berliner Aquarium. Erinnerungen.
234 Seiten, 109 (!) Abbildungen. Westkreuz-Verlag, 15,00 Euro

 

Juli/August 2005  Stadtteilzeitung Inhaltsverzeichnis

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