Reihe Jugendkriminalität: "Erfurt ging mit Mobbing los" | ||||
Anti-Gewalt-Veranstaltung an der
Schöneberger Robert-Blum-Oberschule
Forsch, aber gut gelaunt erscheinen sie in der Klasse, die
sich auf Stühlen sitzend in einem Kreis platziert hat, und stellen sich samt ihren
persönlichen Hobbys den Schülern vor. Zunächst soll über Erfahrungen mit Gewalt
gesprochen werden - und weil die Beamten von Amts wegen verpflichtet sind, bei
hinreichendem Verdacht einer Straftat einzuschreiten, wird den Schülern vorgeschlagen,
ihre persönlichen Erlebnisse als Erlebnisse anderer oder als Fantasiegeschichten zu
erzählen. "Lehrer haben Schiss", äußert ein Schüler, als es darum geht, wie Konflikte in der Schule gelöst werden können. Ein anderer erzählt von der erfolgreichen Durchführung einer klasseninternen Schlichtung, die von einem Lehrer geleitet wurde. Der ältere der Polizeibeamten sagt, dass es noch besser wäre, wenn die Schüler so etwas ohne Lehrer, also unter sich austragen würden: "Ihr seid erwachsen genug." Wo beginnt Gewalt? Die Polizeibeamten wirken unversehens unfreundlich und
lassen eine gewisse Ignoranz gegenüber den Schülern erkennen. Im Befehlston wird ein
Schüler aufgefordert, seine Tüte Schoko-Drops wegzulegen. Auf eine Wortmeldung eines
Schülers reagiert der andere Polizeibeamte gelangweilt mit den Worten: "Was meldest
Du Dich denn schon wieder?" Zwar ist dieser Begriff bis heute nicht allgemeingültig in
einem Gesetzt definiert und taucht auch in keinem Strafgesetz auf. Trotzdem ist Mobbing
häufig der Ausgangspunkt einer Gewaltspirale, auch an Schulen. "Erfurt ging mit
Mobbing los", sagt ein Polizist und gibt den Schülern den Rat, das Gefühl einer
Erniedrigung oder Schikanierung nicht in sich hinein zu fressen, sondern sich bereits in
diesem Stadium zu wehren. Im Verlauf der Veranstaltung äußern die Schüler öfter
ihren Eindruck, dass die Bestrafung von Tätern zu spät erfolgt und meistens zu gering
ausfällt. Dabei kommt es Ihnen vor allem auf eine Einsicht des Täters und seine
Besserung an, damit er sein Verhalten für die Zukunft ändern kann. Daher zeigen sie
Verständnis für den Erziehungsgedanken des Jugendgerichtsgesetzes und die Notwendigkeit,
erzieherischer und weniger bestrafender Maßnahmen, als die Beamten ihnen den Unterschied
zum Erwachsenen-Strafrecht erklären. Rat und Tat Angenommen, Sie möchten eine Kreuzung überqueren, in die
gerade ein Lastkraftwagen einbiegt, der Sie jedoch nicht sieht. Gehen Sie weiter? Mit
diesem Beispiel vergleicht ein Polizeibeamter die hypothetische Situation, in der Schüler
einer aggressiv wirkenden Gruppe fremder Jugendlicher begegnen und Auseinandersetzungen
drohen. Experimente Die zwischen der Klassenlehrerin und den Polizeibeamten
für die Veranstaltung vereinbarte Zeit von zweieinhalb Stunden ist abgelaufen. Fast
pflichtbewusst unterrichten die Beamten mit Blick zur Klassenlehrerin die Schulklasse vom
Ende der Veranstaltung, obwohl sie sich noch etwas vorgenommen hatten. Später verkörpert der jüngere Polizist einen fein gekleideten, gut riechenden Bankangestellten, der sich in der U-Bahn neben zwei junge Frauen setzt. Anscheinend ungewollt berühren seine Knie die Beine einer Schülerin, die er plötzlich umarmt und fragt, ob sie heute Abend Zeit hätte. Die Schülerin lächelt peinlich berührt, bleibt aber sitzen. Sie hat sich nicht getraut, aufzustehen und laut zu rufen: "Lassen Sie mich los!" "Allgemeines peinliches Berührtsein ist o.k.", sagt der Beamte, als sich die Veranstaltung ihrem Ende neigt. Die Schüler verstehen dabei aber auch, dass ein von Übergriffen betroffener Mitschüler mit seinen Gefühlen nicht allein gelassen werden darf. Rechtsanwalt Wolfgang Kotsch
April 2005 Stadtteilzeitung < Inhaltsverzeichnis Für Besucher aus der Kiezbox: ZURÜCK ZUR KIEZBOX |
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